"Die Kunst des Volksmärchens liegt in der Art und Weise, wie es erzählt wird.
Es war nie dazu bestimmt, gedruckt oder gelesen zu werden.
Es nimmt seinen Lebensodem von den Lippen der Erzähler,
vom Applaus des sachkundigen Publikums am Kaminfeuer."
Seamus Oduilearga "Irish Tales and Story Tellers"

Bran erhielt eines Tages eine Einladung von Manannan, Sohn des Lir, er solle ihn doch einmal besuchen kommen auf Emhain, der Insel der Frauen. Ungewöhnlich war die Form, in welcher die Einladung zu ihm kam: Bran war draußen bei seiner Hügelfeste umher spaziert, als er liebliche Musik vernahm, die ihn in tiefen Schlaf hüllte. Als er wieder erwachte, hielt er einen silbernen Zweig in den Händen, der mit wunderschönen Apfelblüten über und über bedeckt war. Vorsichtig und von Schauer erfüllt trug er den Zweig heim und als seine Leute um ihn versammelt waren, stand plötzlich auch eine fremde Frau unter ihnen, die mit seltsamen Kleidern gewandet war. Diese Frau sang ein Lied von Emhain, der Insel der Frauen, wo es keinen Winter gebe, ewige Apfelblüte, keinen Kummer, wo kein Wunsch unerfüllt bleibe. Sie lud Bran ein, diese Insel zu suchen, und als ihr Lied zu Ende war, verschwand sie und der Apfelzweig sprang von Brans Hand in ihre Hand, ohne daß er es verhindern konnte.

Es wird erzählt, daß die keltischen Schamanen, wir nennen sie Druiden, wenn sie ihre Zuhörer um sich versammelten, einen Zweig in die Hand nahmen, an welchem Glöckchen hingen. Glöckchen mit silbrigem Klang. Der Klang zeigte an, daß der Schamane, die Schamanin, nun in jene Welt eintreten würde, aus der alle Dichtung, alle Geschichten und Lieder kommen - in die Anderwelt. Apfelinsel, Nebelinsel, Jenseits, Welt der Toten, Avalon, Heimat der Feen, Sitz der Götter, besonders der einen, der großen weißen Göttin - diese Welt hatte und hat viele Namen. Die Anderwelt ist auch die Heimat der Spirits, der Geister der Pflanzen, Mineralien und Elemente. Das Reisen in die Anderwelt und wieder zurück war/ist die Spezialität der Schamanen. Und was sie dort erlebten, erzählten sie denen, die "zu Hause" blieben. Diese Geschichten wurden erzählt und erzählt und erzählt... bis sie später, viel später aufgeschrieben wurden. Von Menschen, die spürten, daß es wichtig war, diese Geschichten zu bewahren, die aber den Ursprung dieser Geschichten nicht mehr kannten.

So gelangten diese mündlichen Reiseberichte von Erwachsenen für Erwachsene als "Märchen" in die Bücher für Kinder. Dort wurden sie weiter tradiert und jedes Kind lernte z.B. die Geschichte eines Mädchens kennen, das eine Initiationsreise in die Unterwelt unternimmt, der schwarzen Göttin der Unterwelt begegnet, und von dort, reich an Erfahrungen, wieder in unsere Welt zurückkehrt. Diese Geschichte heißt "Frau Holle" oder "Goldmarie und Pechmarie".
Unsere westliche Kultur kennt, außer vielleicht der Weihnachtsgeschichte, kaum noch heilige Geschichten, d.h. solche Geschichten, die einen Bezug des Menschlichen zum Spirit herstellen. Doch:

"Alles, was am universellen Leben teilhat, oder teilhaben wird, besitzt Spirit: Der Spirit lebt in allen Dingen, die am Leben des Universums teilhaben oder teilhaben werden."

Caitlín Matthews, "Das Lied der Seele"

So ist jede Geschichte, jedes Gedicht, jedes Lied eine Brücke zwischen Mensch und Spirit/Spirits. Mit dem Erzählen von Geschichten möchte ich dazu beitragen, viele Brücken entstehen zu lassen...